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Merz nicht mein Kanzler


ABENDZEITUNG DIENSTAG, 21. OKTOBER 2025 (zum Zeitungsartikel PDF


MERZ NICHT MEIN KANZLERSeit über 40 Jahren lebt Fadumo Korn in Deutschland – und fühlt sich jetzt vom Kanzler zum „Problem im Stadtbild“ erklärt. Auch eine Kundgebung in München positioniert sich gegen Merz.
 
In Fadumo Korn (61) brodelt die Wut. Die Münchnerin fühlt sich direkt von Kanzler Friedrich Merz (CDU) angegriffen. Stichwort: „Problem im Stadtbild“. „Ich werde zum Störfaktor erklärt – von der Spitze unseres Landes!“, empört sie sich.
 
Merz hatte vergangene Woche im Zusammenhang mit dem Erstarken der AfD und dem Thema Migration gesagt: „Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem, und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen.“

Korn sagt zur AZ: „Ich fühle mich extrem beleidigt. Das bedeutet, ich bin ein Problem im Stadtbild. Nach 45 Jahren in Deutschland und München fühle ich mich gerade total heimatlos.“ Korn ist in Bayern verwurzelt und engagiert, hat erst im Juli den Bayerischen Verdienstorden bekommen.
 
Fadumo Korn will ein Zeichen setzen: Von Friedrich Merz als Kanzler fühlt sie sich nicht repräsentiert.
Foto: priv
 
Sie nennt die Aussage des Kanzlers „erschreckend und frustrierend“. „Das ist eine extreme Beleidigung für alle Menschen, die nicht blond und blauäugig sind.“ Aus ihrer Sicht hat Merz damit „AfDParolen herausposaunt – purer Rassismus“. Ihre Forderung: „Ich möchte, dass er sich öffentlich bei uns allen entschuldigt. Und dann soll er erklären, was er mit dem Stadtbild genau meint.“
 
Ob das passiert, ist allerdings fraglich. Denn Merz hat die „Stadtbild“Äußerung nun sogar verteidigt. „Ich habe gar nichts zurückzunehmen“, sagte der CDU-Chef am Montag nach einer Klausurtagung des Parteipräsidiums in Berlin auf die Frage eines Journalisten. „Im Gegenteil, ich unterstreiche es noch einmal: Wir müssen daran etwas ändern und der Bundesinnenminister ist dabei, daran etwas zu ändern und wir werden diese Politik fortsetzen.“

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) stärkte seinem Unions-Kollegen am Montag den Rücken. Die Debatte nannte Söder „Wortklauberei“. In vielen Städten gebe es Probleme. „An Hauptbahnhöfen, in Schwimmbädern, an manchen Marktplätzen ist dies natürlich für einen ganz großen Teil der Bevölkerung eine Herausforderung.“
 
Korn hat nicht nur Richtung Kanzler Merz eine Forderung: „Wo sind die Sozialdemokraten? Warum schreien sie nicht auf?“ Sie wünscht sich, dass mehr Menschen gegen solche Diffamierungen aufstehen. „Wir steuern auf eine wahnsinnig gefährliche Situation zu.“ Sie ist auch der Meinung, dassDeutschland eine neue Debatte über Aussagen zu Migration braucht – auf bundespolitischer Ebene und vor allem auch auf Augenhöhe mit den Millionen Menschen mit Migrationshintergrund.

In München kamen am Sonntag bereits rund 200 Menschen zu einer Kundgebung zusammen. Dazu aufgerufen hatte der Verein Frau-Kunst-Politik. Die Vorstandsvorsitzende Corina Toledo teilt der AZ mit: „Bundeskanzler Merz hat Migration als ein ,Problem im Stadtbild’ diffamiert. Das ist mehr als nur eine Entgleisung; es ist ein Versuch, Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, Sprache oder Herkunft zum optischen Störfaktor und Sündenbock für eine verfehlte Migrationspolitik zu erklären.“

Toledo will die „politischen Leerstellen“ aufzeigen, da „der Kanzler die wahren Ursachen der Migration und die strukturelle Verflechtung Deutschlands systematisch ignoriert“. „Merz spricht nicht darüber, dass Deutschland zu den größten Waffenexporteuren zählt und damit Kriege und Konflikte in Ländern befeuert, aus denen Menschen fliehen.“ Und: „Wir fordern den Kanzler auf, offenzulegen, dass der deutsche Wohlstand auf Ausbeutung und Hungerlöhnen im Globalen Süden beruht.“ Sie zählt als Beispiele auf: Kaffee, Kakao, Kobalt, Lithium.

Die Vereinschefin ist der Meinung: „Fehlentwicklungen in der Migrationspolitik sind von der Politik zu verantworten, und sie muss Lösungen ohne Diffamierung aller Migranten erarbeiten.“

Auch die SPD-Ortsvorsitzende von Taufkirchen, Naciye Özsu, war am Marienplatz dabei. Der AZ teilt sie ihre Gründe mit: „Weil es Zeit ist, Haltung zu zeigen – gegen Pauschalisierungen und für ein
respektvolles Miteinander. Menschen mit Zuwanderungsgeschichte dürfen nicht pauschal verdächtigt oder als Problem dargestellt werden.“

Diese seien längst angekommen und übernähmen Verantwortung. Im Beruf, in der Familie oder in einem Ehrenamt. „Ich selbst stamme aus einer Gastarbeiterfamilie – Menschen, die dieses Land mit aufgebaut haben.“

Sie kritisiert an Merz besonders: „Wenn ein Kanzler beginnt, ganze Gruppen mit wenigen Worten abzuwerten, verliert er den Respekt und den Kontakt zu denjenigen, die unser Land mittragen.“ Deutschland brauche keine Angstparolen, sondern Vorbilder und Brückenbauer – „in unseren Schulen, auf unseren Marktplätzen, in unseren Vereinen“.

Wie haben sie die Stimmung bei der Kundgebung empfunden?
„Eine kraftvolle Mischung aus Wut, Entschlossenheit und tiefer Solidarität“, so Toledo. „Die Menschen haben sich nicht als Opfer gefühlt, sondern als aktive Verteidigerinnen der Demokratie und Vielfalt.“ Auf Plakaten seien etwa die Hashtags zu lesen gewesen: „Merz ist das Problem“ und „Wir sind das Stadtbild“. Aus Sicht von Özsu war die Stimmung „friedlich, offen und herzlich“. „Der Wille zum Miteinander war spürbar – über Generationen und Herkunft hinweg.“

Fadumo Korn war nicht dabei – sie sei noch zu wütend, sagt sie. Sie werde in der Sache aber keine Ruhe geben, kündigt sie an. „Ich fühle mich gerade heimatlos, aber ich lasse das nicht
auf mir sitzen.“

R. Vielreicher

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